Der Sicherheitsversuch in der Werkshalle beim Unternehmen Egon Evertz am Birkenweiher ist beachtlich: Genau 33 Sekunden hält der Magnet die 29 Tonnen schwere Eisenplatte, nachdem der Strom abgeschaltet wurde. Dies soll einen Kabelbruch simulieren. „Ist das nicht unglaublich?“, fragt Seniorchef Egon Evertz nach dem gelungenen Experiment begeistert. Weil zugleich ein Warnsignal ertönt, hätten Arbeiter im Ernstfall noch genügend Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Weltweit gibt es keine vergleichbare Technik, die das in dieser Form schafft. Oberbürgermeister Norbert Feith hat sich gestern im Rahmen seiner Firmenbesuche von der Innovation überzeugt. Begleitet wurde er von Frank Balkenhol, dem Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung.
Der 74-jährige Seniorchef, seine beiden Söhne Ralf und Stefan Evertz sowie Mitarbeiter erläutern den Besuchern aber nicht nur diese Neuentwicklung bei den Magneten, eines der zahlreichen Spezialgebiete des Solinger Unternehmens. In der Schleiftechnik ist die Firma ebenso führend. „Wir kennen nichts, das besser ist.“, heißt es selbstbewusst. Der Ehrgeiz, mit Neuentwicklungen neue Absatzmärkte zu erschließen, hängt gewiss mit der Unternehmensgeschichte zusammen. Firmengründer Egon Evertz legte 1956 mit einer völlig neuen Kaltschweißtechnik den Grundstein. Dadurch ließen sich Produktionskosten um über 50 Prozent senken. Heute hat Evertz mehr als 300 Patente, erzielt weltweit einen Jahresumsatz von gut 80 Millionen Euro und beschäftigt über 700 Mitarbeiter, davon 92 in Solingen. Zu 80 Prozent ist Evertz Dienstleister. „Wir wollen Solingen treu bleiben“, bekennen sich der Seniorchef sowie seine beiden Söhne zum Standort. Im Monhofer Feld wird derzeit beispielsweise eine Großpresse mit einer Leistung von 2000 Tonnen gebaut. Sie ist für die Herstellung der Evertz Schleifsteine bestimmt. Oberbürgermeister Feith betont: Die Innovationskraft sei ein Marken-zeichen des Unternehmens.
Von Günter Tewes / Solinger Morgenpost vom 19.05.2011
Ungeahnte Kräfte freigesetzt
EVERTZ-GRUPPE Neue Sicherheitseinrichtung für Elektromagnete wirkt im Falleines Kabelbruchs. Manche Ideen kommen schlagartig. Eine Narbe am linken Handgelenk erinnert Egon Evertz daran, wie ein versehentlich berührter Kondensator ihm mehrere tausend Volt durch den Körper jagte (bei sehr geringer Stromstärke). Diese Kraft müsse sich doch auch sinnvoll nutzen lassen, kam der Unternehmer ins Grübeln. Seine Idee: Kondensatoren sorgen dafür, dass Elektromagnete nicht direkt schlappmachen, wenn der Strom ausfällt.
Denn das kann in der Branche, in der Evertz tätig ist, fatale Folgen haben: Unter den Solinger Magneten hängen beispielsweise bis zu 50 Tonnen schwere Eisenblöcke („Brammen“). Batterien sorgen dafür, dass ein Netzausfall überbrückt wird. Evertz: „Aber was ist bei einem Kabelbruch?“
Dann wird es extrem gefährlich, wie der Erfinder sowie seine Söhne Stefan und Ralf jetzt Oberbürgermeister Norbert Feith und Wirtschaftsförderer Frank Balkenhol zeigten – als sie eine „nur“ 29 Tonnen schwere Bramme auf den Hallenboden am Firmenstandort Birkenweiher (früher Kieserling) aufschlagen ließen.
Aber eben nicht sofort, sondern erst 33 Sekunden nach Stromausfall. So lange hatte der Prototyp der neuen Sicherheitseinrichtung, begleitet von einem durchdringenden Warnton, den Magneten mit „Saft“ versorgt. „Egon Evertz hat durch ein hohes Maß an Kreativität ein Geschäftsfeld nach dem anderen entdeckt und entwickelt“, lobte Feith – und konnte zehn Meter weiter gleich die nächste Innovation besichtigen. Die Evertz-Gruppe will die Schleifsteine, mit denen die Brammen geglättet werden, selbst herstellen.
„Wir verbrauchen jährlich Schleifsteine im Wert von zwei Millionen Euro“, erläutern die drei Firmenlenker. Auf einer Versuchspresse (700 t) fertigen Evertz-Mitarbeiter bereits Steine mit einer höheren Lebensdauer als bisher üblich. Auf dem Firmengelände an der Prinzenstraße in Ohligs wird eine 2000-t-Presse aufgebaut, die kleinere später dorthin verlagert. „Dann machen wir auf einen Schlag drei Steine.“
Mehr als 300 Patente beweisen den Erfindergeist
Die Innovationen addieren sich zu den rund 300 Patenten, die Evertz bereits hält. Die Gruppe, die rund 80 Millionen Euro umsetzt, ist mit 716 Mitarbeitern (92 in Solingen) in Deutschland, Frankreich und den USA vertreten – immer in der Nähe von Stahlproduzenten. In Middletown (Ohio) etwa, wo man vor acht Jahren mit der Produktion begann, wurden bisher eine Million Tonnen Edelstahl-Brammen geschliffen. „Ohne auch nur eine Reklamation“, so Evertz.
Sorgen machen ihm aber die Energiepreise. „Wir sind von der Energie abhängig. Der Strom ist hier doppelt so teuer wie in den USA.“ Evertz bekennt sich zum Atomstrom, sagt aber: „Atomkraftwerke, die nicht abschaltbar sind, gehören nicht ans Netz.“
flm Solinger Tageblatt vom 20.05. 2011