Nur die lebhaften Augen und die dynamischen Armbewegungen, mit denen er seine Worte untermalt, lassen ahnen, daß der erste Anschein trügt. Der gebürtige Solinger besitzt und leitet ein Unternehmen, das in der ganzen Welt in Stahlwerken Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten durchführt. Gerade 19 Jahre alt, meldete er 1956 mit 300 DM Startkapital in der bergischen Klingenstadt ein Gewerbe an und schuf daraus in vier Jahrzehnten eine Unternehmensgruppe mit mehr als 100 Millionen DM Umsatz und 752 Arbeitsplätzen.
Seinen Bekannten und Geschäftspartnern ist Evertz freilich nicht nur als erfolgreicher Vollblutunternehmer, sondern auch als Multitalent bekannt. Der Geiger Evertz hat ein halbes Dutzend CDs mit Werken von Brahms, Schubert oder Kreisler bespielt und seiner Familie oder Freunden gewidmet. Er übt täglich, besitzt 64 Geigen, darunter einige kostbare Raritäten.
Der junge Evertz hat dem hohen C den Klang starker Motoren vorgezogen. Mit gefühlvollem Wechselspiel auf Gaspedal und Bremse fuhr er 1960 im Tourenwagen gleich drei deutsche Meistertitel ein. Der schwangeren Ehefrau zuliebe zog sich der Heißsporn zwar bald wieder aus dem Autosport zurück, aber als "Oldtimer" nahm er 1975 mit seinem Porsche Carrera noch einmal einen Anlauf und fügte der Trophäensammlung den vierten Meistertitel hinzu.
Das Auto hat ihn immer fasziniert. Er arbeitete an der Verbesserung der Brems- und Gurtsysteme und gründete eine Gesellschaft, die vor allem Porsche-Modelle aufrüstet. Der von ihm entwickelte Formel-1-Motor hat nie ein Rennen durchstehen müssen, weil dem neuartigen Zweitakter der Einsatz im Motorzirkus verwehrt wurde. Nach dem Rückzug von den Rennstrecken fand er bald Gefallen an einem weitaus ungefährlicheren Sport, dem Schachspiel. Mit dem für ihn typischen Leistungsstreben warb der Unternehmer manchen Spitzenspieler für seinen Solinger Verein an. Von 1969 bis 1975 war Evertz viermal Mitglied der Schachmannschaft, die den deutschen Meistertitel errang.
Solche Erfolge außerhalb des Berufslebens waren nicht die Ventile für einen gelangweilten Sproß aus wohlhabender Familie. 1947 verlor er den Vater und wenige Jahre später auch die Mutter. Das vom Vater, einem Radiomechaniker, geerbte technische Verständnis ist ihm eine der Säulen des Erfolges seiner mittlerweile ein gutes Dutzend Unternehmen zählenden Gruppe. In das Berufsleben startete der junge Evertz mit einer kaufmännischen Ausbildung bei einer alteingesessenen Solinger Handelsgesellschaft. Als einziger Nicht-Abiturient hatte der Volksschulabsolvent die eher aus Trotz angetretene Aufnahmeprüfung bestanden. Das war ihm Ansporn, die Lehre zu absolvieren und gleichzeitig am Abendgymnasium die Fachhochschulreife zu erwerben, die er später für ein Studium zum Schweißfachingenieur nutzte.
Im Alter von 18 Jahren setzte sich der frischgebackene Exportkaufmann von seinem Vormund nach Neuss zu einem Hersteller von Schweißelektroden ab. Dort schaute er nach seiner Arbeit den Kollegen in der Produktion auf die Finger, "um kennenzulernen, was ich verkaufen soll", wie Evertz erklärt. Als er einmal in einem Thyssen-Stahlwerk Schweißarbeiten beobachtete, fiel ihm die unproduktive Arbeitsweise auf. Er entwarf Verbesserungsvorschläge. Sein Chef reagierte indes unerwartet und stellte die für sein Unternehmen verlustträchtigen Arbeiten ein, statt die neue Methode zur Reparatur von Gießpfannen aufzugreifen.
So machte sich der Berufsanfänger selbständig, versehen mit bescheidenem Startkapital und der Zusicherung einer Wiedereinstellung - für den Fall des Scheiterns. Doch das neue Reparaturverfahren war ein Renner für die junge Egon Evertz KG. Den Umsatz von 70 000 DM im Startjahr hat das Unternehmen schon 1957 mehr als verzehnfacht und im dritten Jahr aus drei Millionen DM Umsatz eine Million DM Gewinn erwirtschaftet. Ausschlaggebend für diesen durchschlagenden Erfolg waren immense Kostenersparnisse beim Stahlgießen. So dehnte sich das Unternehmen schnell in Europa aus und faßte bald auch in den Vereinigten Staaten Fuß.
Als Mitte der siebziger Jahre der Strangguß begann, den Blockguß zu verdrängen, hat sich Evertz nach neuen Aufgaben umgesehen und so die Dienstleistungspalette für die Stahlindustrie immer weiter ausgedehnt. Inzwischen arbeitet die Gruppe an neun Standorten in Europa. Zu ihrem Programm gehören neben den Dienstleistungen auch der Maschinen-, Anlagen- und Stahlbau. Sein Ertragsziel - fünf Prozent Netto-Umsatzrendite - hat Evertz in 45 Jahren immer erreicht, abgesehen von einem einzigen Jahr, in dem die Gruppe rote Zahlen schrieb. Der Gründer ist weiter der Antrieb im Unternehmen.
Allerdings hat ihm die Ankündigung, demnächst werde eine Lebensversicherung ausgezahlt, nachdenklich gestimmt. Nun will er mit seinen beiden Söhnen, die seit einiger Zeit im Unternehmen arbeiten, einmal in aller Ruhe über den Generationswechsel sprechen. Vor Langeweile wird ihm aber auch künftig nicht bange sein.
Werner Sturbeck
Frankfurter Allgemeine Zeitung
vom 15.01.2001